Inhaltsverzeichnis

Spiritualität

Spiritualität (Begriffswörterbuch)

Der Begriff Spiritualität hat sich zum Mode- bzw. Trendwort entwickelt und dient mitunter der Abgrenzung von Religion oder wird auch mit dieser vermischt (z.B. wo Religion sich dem Zeitgeist anzupassen versucht).

Beweihräucherung der eigenen Existenz und Lebensweise

Bei genauerer Untersuchung erweist sich der Begriff als vernebelnd und dünkelhaft. Der „spirituell Interessierte“ verleiht sich den Anschein von Besonderheit und schreibt sich ein Wissen bzw. Verständnis zu, das ihn über den Durchschnitt heraushebt. Als „spirituell“ gelten dann bestimmte Verhaltensweisen, während die einfachen Notwendigkeiten des Alltags dieses Attribut nicht verdienen – sie sind zu banal und führen angeblich nicht zu „Höherem“. Im weitaus häufigsten Fall soll das eigene Leben in gewohnten Bahnen weiterlaufen, aber mit einer Art Heiligenschein verbrämt und beweihräuchert werden. Das Ego wird so noch mehr bestärkt, statt es infrage zu stellen.

Ergänzend dazu werden dann meistens prominente Figuren der Esoterik- oder Psychoszene auserkoren, mit denen man sich in der Freizeit beschäftigt und deren Vorträge oder Bücher man konsumiert; man nimmt also in der eigenen Einbildung an deren vermeintlicher Besonderheit und Auserwähltheit teil.

Siehe auch:

Zitat (Castaneda)

Frage:
Welche Wachstumsmöglichkeiten hat derjenige, der gemäß dem in Ihren Büchern verbreiteten Wissen spirituell an sich arbeiten will? Was würden Sie denjenigen empfehlen, die Don Juans Lehren selbst praktizieren wollen?

Antwort:
Dem individuell Erreichbaren sind keine Grenzen gesetzt, wenn die Absicht makelllos ist. Aber noch einmal: Die Lehren Don Juans sind nicht spirituell! Die Idee von Spiritualität paßt nicht zur eisernen Disziplin eines Kriegers. Für einen Schamanen wie Don Juan ist der Gedanke des Pragmatismus die wichtigste Sache.

Als ich ihn traf, hielt ich mich für einen praktischen Menschen, einen Sozialwissenschaftler voller Objektivität und Pragmatismus. Er zerschlug meine Anmaßungen und brachte mich dazu zu erkennen, daß ich, als ein echter Westler, weder pragmatisch noch spirituell war. Schließlich verstand ich, daß ich das Wort „Spiritualität“ bloß im Kontrast zur Käuflichkeit der Welt des täglichen Lebens wiederholte. Ich wollte vom Krämergeist des Alltagslebens wegkommen und nannte diese Begierde „Spiritualität“. Als Don Juan von mir eine Schlußfolgerung, eine Definition dessen verlangte, was ich für spirituell hielt, wußte ich, er hatte recht. Ich hatte keine Ahnung, worüber ich redete.

Es mag ein wenig überheblich klingen, was ich sage, aber es gibt keine andere Art, es zu benennen. Ein Schamane wie Don Juan will Bewußtheit erweitern, d.h. dazu imstande sein, mit allen Möglichkeiten der menschlichen Aufnahmefähigkeit wahrzunehmen. Das schließt eine riesenhafte Aufgabe und einen unbeugsamen Vorsatz ein, der nicht durch die Spiritualität westlicher Prägung ersetzt werden kann.

Aus einem Interview mit Carlos Castaneda

Spiritualität löst im Westen das Christentum als Trend ab

Spiritualität könnte man als eine Art Modernisierung des Sonntags-Christentums verstehen, das sich ebenfalls als dem normalen Alltagsleben aufgesetzte Freizeitbeschäftigung darstellt – nur scheinbar mit weiterem geistigem Horizont versehen und weniger bieder und konventionell.

Der „spirituell Interessierte“ braucht nichts zu opfern, sondern bekommt scheinbar, so wie im Verstandesbereich der Intellektuelle, noch etwas dazu. Er kann sich aufgeklärt und wissend fühlen, ohne sich mit inneren Krisen oder schicksalhaften Anforderungen auseinandersetzen zu müssen. Sinn- und Existenzfragen sind auf angenehme und ersprießliche Weise scheinbar gelöst und beantwortet.