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Der Mensch als Geschehen

Die Identifikation mit dem Namen

Der Mensch ist, wie alle natürlichen Wesen, ein Ausdruck der sich ständig in ihrer Erscheinungsform verändernden Lebenskraft. Er ist somit ein Vorgang, ein fließender Übergang, kein Fixpunkt und kein fertiges Gebilde. Und dennoch geschieht genau diese Fixierung auf eine angeblich feste und fertige Identität, nämlich durch Identifikation einer Person mit ihrem Namen. Man erschafft sich hierdurch ein Bild von sich selbst genau wie von bestimmten anderen. Dann meint man, sich und diese anderen zu kennen — man sei so und so, habe diese und jene Eigenschaften, Ansichten, Überzeugungen, Hoffnungen und Wünsche, und genauso verhalte es sich mit anderen, vor allem aber mit jenen Menschen, die man ebenfalls, in seinem eigenen geistigen Bild von ihnen, auf solche Merkmale und Eigenschaften festgelegt hat.

Würde man sich und alle anderen Menschen einfach als das sehen, was man ist bzw. was sie sind, nämlich: sich ständig in Wandlung befindliche Übergangsformen, so könnte man auch keine festen Meinungen mehr hegen. Man selbst — und jeder andere — könnte sich jederzeit auf völlig neue, ungeahnte, unverhoffte oder unvermutete Weise verhalten. Und genau das passiert ja auch ständig. Aber diese Tatsache wird verleugnet, eben weil sie dem starren Bild zuwiderläuft und es gefährdet.

Wie die Fixierung zur Störung führt

Noch etwas anderes erschafft die einzementierte Sichtweise vom Menschen und seiner angeblichen Identifizierbarkeit: die Verwechslung von Bewußtsein und Person. Jeder fühlt, daß sein Bewußtsein unveränderlich ist. Es ist immer dasselbe, ob er nun Kind war oder Jugendlicher, Erwachsener oder Greis. Innerlich fühlt er sich als ein und dieselbe Identität. Aber dies hat überhaupt nichts mit dem Körper, der Person oder dem Namen zu tun, und auch nichts mit persönlicher Geschichte, mit Erlebnissen oder Erinnerungen an Erlebnisse. Diese nicht greifbare, im Innern der eigenen Wahrnehmung sitzende Identität wird künstlich festgemacht an Äußerem. Weil man nicht weiß, wer man ist, versucht man sich irgendwo künstlich festzuhalten und identifiziert sich mit bestimmten Eigenschaften und Kennzeichen: So meint man dann, das sei man selbst und darüber ließe sich nun etwas Verläßliches aussagen.

Aber sämtliche dieser Eigenschaften sind immer nur ein spontaner, sich jeweils ereignender Ausdruck der Lebenskraft und nicht Resultat irgendeiner vorgefaßten persönlichen Absicht. Sie passieren. Nun wird diese Wandlung, die mit jedem Menschen in jeder Sekunde abläuft, vom starren Selbstbild als Bedrohung empfunden. Man kann doch nicht jemand anders sein, als wofür man sich die ganze Zeit gehalten hat? Wie geht man dann aber mit den eigenen Antrieben, Wünschen, Impulsen und auch Willensausbrüchen um (Zorn, Wut, Eifersucht, Neid, Gier, Angst, Sorge, Enttäuschung, Verzweiflung)? Sie müssen unterdrückt und verdrängt werden, denn sie sind Störfaktoren; sie unterminieren das Selbstbild. Das falsche Selbstbild kämpft nun folgerichtig gegen die Lebenskraft, also gegen seine eigene Grundlage. Als würde das Boot gegen das Wasser kämpfen, auf dem es schwimmt.

Wird der Mensch als Durchgangskanal und Ausdrucksform der Lebenskraft selbst gesehen, dann endet dieser Kampf ein für allemal. Dann läßt sich auch nichts Endgültiges mehr über irgendeinen Menschen (einschließlich man selbst) behaupten; dann ist jede Einordnung oder Wertung, jede Meinung und jedes Urteil von vornherein absurd. Und genauso jede Erwartung, jeder Anspruch, jede Forderung und jeder Kontrollversuch. All das erweist sich einfach nur noch als dumme und unnötige Selbstverkümmerung, als Auswuchs eines unseligen Mißverständnisses.

Erstarrung im Alter

Auch wenn es sehr negativ klingt, aber es muß auch gesagt werden: Leider gibt es, vor allem in der älteren Generation, viele Menschen, für die der Fluß des Seins endgültig aufgehört hat und die nur noch ihren erstarrten geistigen Mustern und Routinen verhaftet sind. Bei manchen könnte man denken, sie wären tot, schon gestorben: übrig sind nur noch ihre fest einzementierten Prinzipien und ihre Marotten. Da ändert sich nichts mehr. Irgendwann ist dann auch der Körper vertrocknet und bricht zusammen. Erst dann geht die festgehaltene, gebannte, erstarrte und erfrorene Lebenskraft wieder in die Dynamik der allgemeinen Umwandlung über, und es ist, als wäre die Ganzheit darüber erleichtert.

Es gibt aber auch einen Jugend-Starrsinn: indem durch Unsicherheit, Angst und den trotzig-stolzen Versuch, sich durch persönliche Besonderheit hervorzutun, Unbeweglichkeit entsteht, die sich dem Fluß des Lebens entgegenzustemmen versucht. Der junge Mensch gerät erst in den Käfig seiner Persönlichkeit, bevor er sich als Erwachsener endgültig mit dem Scheitern seiner tieferen Sehnsüchte abfindet — oder sich aufgrund innerer Gewissensnot auf eine spirituelle Selbst- und Wahrheitssuche begibt.

Zwei gegensätzliche Umgangsweisen

Aus der Beobachtung, daß der Mensch ein Geschehen ist und kein fest definierbarer Gegenstand, ergibt sich auch eine andere Umgangsweise. Man wird dann auf den anderen je nach aktueller Situation und darin vorkommendem Verhalten eingehen und nicht nach einer festen Vereinbarung. Also so, wie er sich im Jetzt verhält, reagiere ich auf ihn auch im Jetzt. Dagegen gründen fest vorbestimmte Reaktionsweisen auf dogmatischen Beziehungsübereinkünften: So duldet man Verhaltensweisen beim einen, dem man sich (durch die Beziehung) verpflichtet fühlt, welche man bei einem anderen längst unter Protest abgewehrt hätte. Dann ist man Teil einer Abmachung geworden und hat das Lebendige bei sich selbst zugunsten einer Fixierung verraten. Die gesellschaftliche Moral fordert hier mit Begriffen wie „Treue“ oder „Pflicht“ eine Verläßlichkeit ein, die die jeweils im Moment wirkende Lebenskraft vollständig zum Tabu macht.

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der_mensch_als_geschehen.txt · Zuletzt geändert: 2.02.2024-18:39 von gerdlothar

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